Der 8. Mai und die kulturelle Identität

Der 8. Mai und die kulturelle Identität

Theodor Heuss, den wir guten Lokalpatrioten ja als Stuttgarter ehren, sagte 1949 im Parlamentarischen Rat: „Im Grunde genommen bleibt dieser 8. Mai 1945 die tragischste und
fragwürdigste Paradoxie der Geschichte für jeden von uns. Warum denn? Weil wir erlöst und vernichtet in einem gewesen sind.” Erlöst einerseits von der dämonischen Herrschaft des
Nationalsozialismus, andererseits um den Preis der Vernichtung durch die totale Niederlage und die unbedingte Herrschaft der Sieger. Der Jahrestag der deutschen Kapitulation ist auch im Jahr 2025
kein Anlass zum Feiern.

Vor allem sollte er uns daran erinnern, wie damals Deutschland die Chance bekam – wieder – ein anderes zu werden. Dass dieser Wachstumsprozess nach achtzig Jahren noch
nicht abgeschlossen ist, dass die Verunsicherung der Besiegten sich über Generationen hinweg bis heute bemerkbar macht, zeigt sich in Gesellschaft und Politik. Wie können die Deutschen, ohne ihre
Schuld zu leugnen, wieder selbstbewusst werden? Um wirklich befreit zu sein, müssen wir uns auf unsere kulturelle Identität besinnen, wie sie in der Erklärung von Mexiko City 1982 beschrieben wird:
„Die kulturelle Identität ist eine reiche Quelle, die die Möglichkeiten der Menschheit belebt, sich selbst zu verwirklichen, indem sie jeden Menschen und jede Gruppe dazu führt, aus der
Vergangenheit zu schöpfen, Einflüsse von außen aufzunehmen, die mit den eigenen Charakteristika vereinbar sind und auf diese Weise den Prozess seiner eigenen Erneuerung fortzuführen.“