Die Anwendung der Milieuschutzsatzung auf Stadtteile Stuttgarts: Sozialistische Ideologie gegen Realität, Fakten und Bürgerrechte
Der Stuttgarter Gemeinderat hat in den letzten Monaten und Jahren die Anwendung der „Milieuschutzsatzung“ für einige Wohnviertel Stuttgarts eingeführt. Zuletzt wurde beschlossen, die fortlaufende Untersuchung weiterer Viertel auf eine Anwendbarkeit dieses Mittels zu beauftragen. Im Ausschuss für Stadtentwicklung und Technik am 23.02.2021 kam es zur intensiven Diskussion um diese Maßnahme. Die wichtigsten Argumente sind hier zusammengefasst.
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Argumente Pro Milieuschutzsatzung in einer Großstadt
In der öffentlichen Diskussion im Gemeinderat ebenso wie im privaten Austausch war es nicht möglich, ein anderes Argument für die Anwendung der Milieuschutzsatzung als die folgenden drei aufgeführten zu erhalten:
„Es ist möglich“
Die Anwendung der Milieuschutzsatzung auf Stadtteile durch Beschluss des Gemeinderats ist rechtlich möglich.
„Es wird bereits gemacht“
Die Milieuschutzsatzung wurde in Stuttgart in den vergangenen Jahren bereits auf bestimmte Stadtteile angewendet, andere Großstädte wenden das Instrument seit längerem und in größerem Stil an. Hierzu wurde das Beispiel Münchens genannt.
„Wir wollen es“
Im Angesicht logischer und faktischer Gegenargumente und Widersprüche tätigten die Befürworter der Milieuschutzsatzung ausnahmslos dieses letzte Wort: „Wir wollen es.“
Argumente Contra Milieuschutzsatzung in einer Großstadt
1. Zweckentfremdung
Der ursprüngliche Zweck der Milieuschutzsatzung ist es, eine angestammte Anwohnerschaft innerhalb eines abgrenzbaren Siedlungsbereiches davor zu schützen, durch den Zuzug finanzstärkeren Klientels verdrängt zu werden. Typische Gebiete für die Anwendung der Milieuschutzsatzung im ursprünglichen Sinn sind historische Altstädte, kulturell wertvolle und hinreichend abgegrenzte Kurorte, Studentenstädtchen etc.
Die Verdrängung des angestammten Milieus findet i.A. statt infolge von Investition, Spekulation, Wertsteigerung und damit Preissteigerung der Immobilien. Diesen Prozess der Gentrifizierung soll die Milieuschutzsatzung verhindern. Dafür muss sie die Preissteigerung, und damit die Wertsteigerung der Immobilien verhindern, und dazu dienen zwei Werkzeuge:
- das Verbot von Maßnahmen zur Renovierung, Sanierung oder sonstigen Aufwertung,
- das Vorkaufsrecht der Gemeinde für alle Immobilien im betroffenen Gebiet.
Verbot und Vorkaufsrecht dienen also dem Mittel der Preisbremse, und dieses Mittel dient dem Zweck des Schutzes einer angestammten Anwohnerschaft vor Verdrängung. Die Milieuschutzsatzung dient nicht dem Zweck der Wohnraumschaffung oder allgemein als Preisbremse.
Aber: Die verantwortlichen Fraktionen des Stuttgarter Gemeinderates verfolgen mit der Einführung der Milieuschutzsatzung erklärtermaßen das Ziel der Mietpreisbremse als Zweck per se.
Die Anwendung der Milieuschutzsatzung in einer Großstadt bedeutet eine Zweckentfremdung.
2. Fehlende Effektivität
Die Milieuschutzsatzung kann ihren Zweck nur erfüllen, wenn das zu schützende Gebiet ausreichend abgegrenzt gegenüber benachbarten Bereichen ist. Andernfalls wird der Prozess der Verdrängung durch Preissteigerung nur auf diese benachbarten Bereiche konzentriert, d.h. verschoben und verschärft.
Aber: Innerhalb einer Stadt, zumal einer Großstadt wie Stuttgart, ist eine solche Abgrenzung real ausgeschlossen. Der steigende Preisdruck betrifft nicht spezifische Stadtteile, sondern erfolgt nach den Gesetzen von Angebot und Nachfrage für das gesamte Stadtgebiet und darüber hinaus. Auch eine als Mietpreisbremse zweckentfremdete Milieuschutzsatzung kann ihr Ziel für Stuttgart insgesamt in keinem Fall erreichen – die unveränderte Nachfrage nach Wohnraum sorgt für umso stärkere Preissteigerung in allen unmittelbar an „geschützte“ Viertel angrenzende Gebiete. Dieser Effekt verbietet sich nach allen Kriterien von Gleichbehandlung und Gerechtigkeit.
Die einzige Möglichkeit, den behaupteten Effekt einer Mietpreisbremse für eine Stadt wie Stuttgart überhaupt zu erreichen, wäre die theoretische Anwendung einer Milieuschutzsatzung für das gesamte Stadtgebiet. Eine solche Maßnahme wäre aber ineffizient und sogar kontraproduktiv, wie im Folgenden dargelegt wird, weshalb das Instrument der Milieuschutzsatzung auch prinzipiell im diametralen Widerspruch zu allen sonstigen Lösungsansätzen der Wohnungsknappheit steht.
Die Effektivität der Milieuschutzsatzung für eine Stadt ist ausgeschlossen.
3. Ineffizienz
Die Milieuschutzsatzung soll die Übernahme verfügbaren Wohnraums durch finanzstärkeres Klientel infolge von Wert- und Preissteigerung verhindern.
Aber: Die Preissteigerung in einer Großstadt wie Stuttgart entsteht nicht durch Wertsteigerung und Gentrifizierung, sondern durch den Mangel an verfügbarem Wohnraum gegenüber der Nachfrage aus Mittel- und Unterschicht. Das Verbot von Aufwertungsmaßnahmen und die Verhinderung sowohl von Handel als auch von Schaffung von Privatwohneigentum kann diesen Mangel selbst in isolierten Teilgebieten nicht nur nicht effizient beheben, sondern ihn im Gegenteil verschärfen:
Privateigentümer bauen Immobilien aus, erneuern, verbessern und vergrößern den Wohnraum, so dass mehr Menschen die vorhandenen Immobilien nutzen können. Investoren schaffen zusätzlich neuen Wohnraum, entsprechende Großprojekte kann die Stadt gezielt mit Vorgaben und Subventionen steuern, um die Spirale der Mietpreissteigerung zu durchbrechen.
Die Milieuschutzsatzung ist selbst in isolierten Gebieten ineffizient als Mietpreisbremse.
4. Kontraproduktivität
Die angebliche Intension der verantwortlichen Fraktionen bei der Anwendung der Milieuschutzsatzung in Großstädten wie Stuttgart ist die Bremsung der Mietpreisentwicklung unter der Vorgabe sozialer Prinzipien.
Aber: Wie gezeigt verhindert die Maßnahme die Schaffung von Wohnraum, verschärft dadurch lokal und insbesondere auf das Stadtgebiet bezogen die Wohnraumknappheit und damit die Preissteigerung.
Diese geradezu absurde Kontraproduktivität wird auch daran erkennbar, dass die Milieuschutzsatzung allen anderen Maßnahmen und Projekten diametral widerspricht, die bspw. in Stuttgart unter den Gesichtspunkten sozialen Wohnraums aber auch Aufwertung von Wohngebieten und sogar Klimaschutz durchgeführt werden.
So hält die Milieuschutzsatzung sowohl die Lebensqualität als auch die Anwohnerzahl der betroffenen Gebiete künstlich auf niedrigem Niveau fest, während in unmittelbarer Nachbarschaft andere Stadtteile zum Sanierungsgebiet erklärt, mit zig Millionen subventioniert, vollständig saniert oder abgerissen und gänzlich neu gebaut werden, um so sowohl die Zahl der Anwohner als auch deren Lebensqualität und die Qualität des Viertels drastisch zu erhöhen, unter besonderer Berücksichtigung sozialen Wohnraums. Die so transformierten Gebiete werden fraktionsübergreifend als große Erfolge unter allen Aspekten des Städtebaus betrachtet.
Gleichzeitig wird jede Sanierung öffentlicher Gebäude entsprechend den Beschlüssen des Gemeinderats so durchgeführt, dass sie den gesetzlich vorgeschriebenen Mindeststandard zum Klimaschutz durchgehend um 40-60% übertreffen. Ebenso werden private Sanierungsprojekte mit sechsstelligen Beträgen subventioniert, wenn entsprechende Maßnahmen zum Klimaschutz nachgewiesen werden. Die Mehrkosten allein für diese Klimaschutzmaßnahmen der bereits abgeschlossenen und laufenden Bauprojekte seit Bestand dieser Regelung wurden auf über 500 Millionen Euro geschätzt, zusätzlich zu den 200 Millionen des als Klimapaket beschlossenen Budgets.
Die Milieuschutzsatzung steht im Widerspruch zu allen anderen Grundsätzen des Städtebaus.
5. Kollateralschäden
Politiker der verantwortlichen Fraktionen erklären, die Maßnahme „kostet ja nichts“.
Aber: Die Kollateralschäden in einer Großstadt durch die Milieuschutzsatzung würden selbst etwaige positive Effekte deutlich überwiegen.
- Wohnraummangel: als zentrales Mittel der Milieuschutzsatzung werden Verbesserung bestehenden und Schaffung neuen Wohnraums verhindert.
- Entrechtung: die Bürger werden in ihrem Eigentumsrecht beschränkt, können ihre Immobilie weder frei verwalten noch verkaufen. So dürften bspw. sogar Privatleute ihr selbst bewohntes Eigenheim weder mit Parkettboden, Fußbodenheizung, zusätzlichem Bad oder Balkon ausbauen; Senioren dürften ihre Immobilie weder Freunden noch Verwandten verkaufen.
- Bürokratie: das Baurechtsamt Stuttgarts ist bereits dermaßen überlastet, dass die Amtsleitung einen Hilferuf an den Gemeinderat gerichtet hat. Die Milieuschutzsatzung erzeugt zusätzlich massiven Aufwand für Verwaltung und Antragsteller, mithin Kosten, Zeitverlust und Frustration.
- Lebensqualitätsminderung: Eigentümer wie Mieter, die der Milieuschutzsatzung unterworfen werden, werden von der Politik auf einen Lebensstandard beschränkt, der weit hinter der allgemeinen Entwicklung zurücksteht. Diese Beschränkung ist ungerecht und ein Eingriff in die freie Entfaltung der Betroffenen.
- Kontraproduktivität: Die künstlich auf niedrigsten Standard reduzierten Stadtgebiete stehen in einem krassem Gegensatz zu Gebieten, die im derselben Stadt und im selben Zeitraum gezielt saniert, erneuert und verbessert werden. Gleichzeitig findet eine Verschärfung der Mietpreisdifferenz zwischen diesen von der Politik widersprüchlich gesteuerten Gebieten statt.
- Ghettos und Gentrifizierung: Langfristig werden sich innerhalb der Gebiete unter Milieuschutzsatzung Ghettos bilden, während Sanierungsgebiete und Restzonen der freien Marktwirtschaft finanzstärkeres Klientel anziehen werden, also bizarrerweise eine politisch geförderte Gentrifizierung erfahren!
Sowohl der ideologisch missbrauchte als auch der eigentliche Zweck der Milieuschutzsatzung werden so vollständig ad absurdum geführt.
Beispiel München? Keine Fakten, nur Annahmen
Nach wiederholter und ausschließlicher Nennung des Beispiels Münchens als Argument für die Milieuschutzsatzung sowie auf die Frage nach belastbaren Erkenntnissen zum Effekt des Instruments hin, gab das Amt für Stadtplanung und Wohnen folgende Auskünfte, wobei darauf hingewiesen wurde, dass ein enger Austausch mit den Münchner Kollegen besteht.
- München ist mit 4777 Einwohnern pro Quadratkilometer die am dichtesten bevölkerte Gemeinde Deutschlands, mehr als 50% dichter als Stuttgart (3067 Einwohner je Quadratkilometer).
- Die Attraktivität Münchens als kulturelles und touristisches Zentrum, mithin für den Zuzug finanzstarker, internationaler Investoren, hat eine andere Größenordnung als die Stuttgarts.
- München sieht sich einer Mietpreissteigerung solchen Ausmaßes ausgesetzt, dass der dortige Stadtrat (dominiert von Grünen und SPD) und die dortige Verwaltung erklärtermaßen ohne vorherige Analyse jedes denkbare Instrument einsetzen, das einen preisbremsenden Effekt erzielen könnte.
- Der Verwaltungsaufwand in München allein durch die zusätzlich geschaffenen Stellen ist bereits mehr als zehnmal so hoch wie aktuell in Stuttgart.
- München führt keine Evaluierung der Maßnahmen zur potentiellen Mietpreisbremse durch. Es liegen also trotz längerfristiger Anwendung der Milieuschutzsatzung auf mehrere Bereiche des Stadtgebiets keine Erkenntnisse über ihre Wirksamkeit oder Nebenwirkungen vor.
- Auch aus Stuttgart liegen keine Erkenntnisse für die Wirksamkeit oder Nebenwirkungen der Milieuschutzsatzung in den betroffenen Gebieten vor.
Fazit
Die Anwendung der Milieuschutzsatzung für Gebiete innerhalb einer Großstadt ist eine Zweckentfremdung.
Der erhoffte Effekt einer Mietpreisbremse erscheint ausgeschlossen und wurde noch nicht nachgewiesen.
Negative und sogar kontraproduktive Effekte erscheinen unausweichlich und wurden nicht ausgeschlossen.
Erkenntnisse zu den Effekten liegen weder aus Stuttgart noch vergleichbaren oder anderen Städten vor.
Die einzige Begründung für die Anwendung der Milieuschutzsatzung erfolgt postfaktisch.
Politische Positionierung
Für den weiteren Ausbau der Milieuschutzsatzung in Stuttgart haben sich ausgesprochen:
- SPD, Grüne, Linke-SÖS-Pirat-Tierschutz
Dagegen haben sich ausgesprochen:
- AfD, CDU
Die Übrigen konnten sich noch nicht entscheiden.
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