Kanzelworte, Ketzer und Alleinstellungsmerkmale

AfD-Fraktion im Gemeinderat Stuttgart

Der neue Gemeinderat solle sich über sein Alleinstellungsmerkmal, seine wesentliche Aufgabe klarwerden, forderte Søren Schwesig, Stuttgarts evangelischer Stadtdekan, in seiner Predigt vor der konstituierenden Sitzung des Rats. Diese bestehe im gemeinsamen Wirken zum Wohle der Stadt. Wobei er Gemeinsamkeit dann so darstellte, dass die ihm genehmen Kreise dazugehören, von ihm abgelehnte jedoch nicht. Sogar der Textbaustein mit ‚Hass und Hetze‘ durfte nicht fehlen.

Die stark parteipolitisch gefärbten Kanzelworte von Schwesig und seinem katholischen Amtskollegen Christian Hermes führen aber zu der Frage, ob die Spitzen des Stuttgarter Klerus ihr eigenes Alleinstellungsmerkmal, ihre eigene spirituelle Aufgabe kennen.

Zwar sagte Hermes dem Stuttgarter Wochenblatt, „dass wir uns neu auf das konzentrieren müssen, was man klassisch als ‚Seelsorge‘ bezeichnet“. Aber er sieht es ausdrücklich auch als seine Aufgabe an, sich in die Parteipolitik einzumischen. Insbesondere die AfD kann er nicht leiden und definiert sie kurzerhand als antidemokratisch und unchristlich. Das ist recht praktisch, weil ungefährlich, und verschafft auf bequeme Art das Image eines tapferen Widerständlers (zwar gegen die Opposition, aber wer wird denn so kleinlich sein).

Unsere Stuttgarter geistlichen Führer gehen zwar nicht so weit wie Thomas von Aquin und fordern für Ketzer die Exkommunikation und (bei Unbeugsamkeit) die Todesstrafe. Vor der heiligen Inquisition und dem Scheiterhaufen scheinen wir also bisher noch sicher zu sein. Aber vielleicht haben sich einfach nur die Methoden verfeinert.

Von der Kanzel herab zur gesellschaftlichen Ausgrenzung zu ermuntern und die ‚moralische‘ Rechtfertigung für die Kündigung von Arbeitsverträgen, Bankkonten, Mietverträgen oder Vereinsmitgliedschaften zu liefern – das gehört nicht zur Aufgabe des Bodenpersonals gleich welcher Religion.

Die Kirchenoberen sollten sich stattdessen Gedanken machen, wie sie ihr Alleinstellungsmerkmal besser herausarbeiten können, damit ihnen die Menschen wieder zuhören, anstatt in Scharen aus den Kirchen auszutreten.

Wir empfehlen ihnen dringend, sich wieder um ihre wahre Aufgabe zu kümmern, nämlich die Seelsorge, die Verkündung ihrer religiösen Botschaft, den Beistand für Menschen in seelischer Not und die Pflege von Spiritualität im täglichen Leben.

Dieser Beitrag erscheint in gekürzter Fassung auch im Amtsblatt.